Toni Scheubeck 2012 - Toni Scheubeck, Bildhauer und Zeichner

Direkt zum Seiteninhalt

Hauptmenü

Toni Scheubeck 2012

Texte

Technologie-Campus
Diese Ausstellung habe ich noch zu Lebzeiten der kürzlich verstorbenen Leiterin des Cordonhauses Brigitte Weiss gehängt. Neben meinen Zeichnungen im Korridor des Erdgeschosses können Sie im Treppenhaus zum 1. Stock große Bilder von Peter Maschek, Richard Vogl und Giorgio Griffa finden. Im ersten Stock ein kinetischen Lichtobjekt von Kreitner.
Ich habe jetzt schon mehrmals in nicht für die Präsentation von Kunstwerken konzipierten Räumen ausgestellt, zum Beispiel im Granitzentrum Hauzenberg, im Gründerzentrum Straubing-Sand und jetzt im Technologie-Campus Cham. Das ist schwierig, weil es sich um keinen White Cube handelt, in dem das Licht ideal wäre und nichts den Fokus auf die Kunst stört. Interessant ist deshalb es trotzdem, weil man vielleicht auf ein Publikum trifft, dem man die Schwellenangst vor Galerieräumen nimmt, indem man sie in ihrem Alltag abholt. Kunst ist (wie Fußball) nach einem Satz des jetzigen Papstes Benedikt XVI. aus den 70er Jahren „das Heraustreten aus dem versklavten Ernst des Alltags in den freien Ernst dessen, was nicht sein muss und gerade darum schön ist."
Für das Foyer im Chamer Campus habe ich als Auftakt einen auf Schienen rollenden Stein ausgesucht, eine Arbeit, bei der ich die Gravitation für mich wirken lasse.
Ähnliches habe ich schon früher gemacht, als ich mit Hilfe eines von der Schwerkraft geleiteten Pendels Zeichnungen in Sand ausgeführt habe, die ich später auf Stein übertragen habe.
Im Korridor hängen des Weiteren 25 Tesagramme, auf die ich im 2. Teil meiner Einführung eingehen werde.

Rede zur Ausstellung im Technologie-Campus Cham am 24. Juli 2012
Toni Scheubeck „Tesagramme und Rolling Stone"

Soeben haben Sie gesehen, wie ein schwerer Doppelkegel aus Stein auf einem gegen die Perspektive auseinanderlaufenden, also nicht parallelem Schienenpaar, quasi von selbst, nur indem ich ein Keilchen entfernte, zu rollen begann und bis zum Ende der Bahn eine immer höhere Geschwindigkeit erreichte. Dies geschah in der Horizontalen, nicht auf einer abfallenden, schiefen Ebene. In einer Institution wie dem Chamer Technologie-Campus, die auf anwendbares Wissen zielt, befremdet vielleicht der spielerische Charakter dieser kinetischen Kunstaktion. Es findet sich aber auch schnell eine rationale Erklärung für diesen magischen Vorgang: Manfred Nürnberger hat diese Phänomen anlässlich der ersten Vorführung in der Passauer St. Anna-Kapelle so erklärt: „Die Erdanziehung des Doppelkegels wird so umgelenkt, dass eine Rollbewegung ausgelöst wird. Die zunächst vertikal wirkende Kraft der Steinmasse wird durch die konische Verjüngung hin zu den Polen der Kegelachse seitlich so auf die Schienenkanten abgelenkt, dass Druck und Gegendruck sich gleichsam in ein Drift verwandeln und die gespeicherte Energie zu rotierende Bewegung mutiert. Zum Auslösen des Vorgangs reicht ein minimaler Impuls aus." Deshalb nannte ich diese Arbeit zuerst „Selbstläufer", später dann „Rolling Stone". Der Stein, den man gemeinhin als starre, unbewegliche und schwere Materie begreift, überwindet seine Schwere und setzt sich selbst in Bewegung. Das anschwellende Grollen während des Laufs, das dem eines herannahenden Zuges ähnelt, steigert den Eindruck ins Synästhetische. Dies funktioniert sogar bei einem leichten Ansteig des Schinenpaars, wie ich in der Realisierungsphase ausprobiert habe. Aus Transportgründen musste ich die beiden Schinenstränge stückeln, so dass ich Ihnen diese Effekt hier nicht zeigen kann. Als Künstler bin ich homo faber und homo ludens in einer Person. Als homo faber entwarf ich diese Arbeit nüchtern und logisch wie ein Ingenieur und realisierte sie als Handwerker. Als homo ludens staune ich weiterhin wie Kaspar Hauser, der einem Film von Francois Truffaut beobachtet, wie ein herabfallender Apfel hüpfend wegrollt. In poetischer Naivität meint Kaspar, der Apfel sei lebendig und hüpfe wie ein Kind im Gras, während die Bewegung des Apfels lediglich physikalischen Gesetzmäßigkeiten folgt. Beides fasziniert mich als Künstler: der wissenschaftliche Fortschritt in der Erklärbarkeit der Welt bis zum Higgs Boson oder Gottesteilchen und das kindlich-naive Staunen vor den Phänomenen: Entzauberung und Zauber in einem.


Rede zur Ausstellung im Technologie-Campus Cham am 24. Juli 2012
Toni Scheubeck „Tesagramme und Rolling Stone"

Spielt sich der erste Teil der Ausstellung als Bewegung in Raum und Zeit ab, also im spaceland, so handelt der zweite Teil vom flatland:
25 Zeichnungen, Flachware also, ausgewählt aus einer Serie von 100, im Winter 2010/2011 entstandenen Blättern, sind im Korridor des Technologie-Campus gehängt (ich zeichne hauptsächlich in den Wintermonaten, weil ich in der Kälte draußen am Stein nicht arbeiten kann). Die Zeichnungen tragen den Titel „Tesagramme", weil zu ihrer Herstellung geometrische Graphitflächen auf einem 50x70cm großen Zeichenpapier aufgetragen werden und mittels Tesafilm teilweise wieder abgenommen werden. Dabei bleibt eine Graphitschicht an der Klebefolie haften, die an anderer Stelle der Bildfläche wieder in neuer Konstellation aufgeklebt wird. Zum besseren Verständnis dieses Vorgangs demonstriere ich Ihnen die Technik anhand eines Beispiels. In diesem Verfahren verbindet sich konzeptuelle Strenge mit spielerischem Vorgehen, geometrisches Kalkül mit Experimentierfreude und Zeichnung mit Collagetechnik, weil die Tesastreifen mit dem  Cuttermesser zerschnitten und neu geordnet werden. Dabei sind die neu entstandenen Formen flächengleich mit den verbleibenden, helleren Fehlstellen in den Graphitflächen, es sei denn, die Klebestreifen überlappen sich in manchen Arbeiten.
Vielleicht kennt der eine oder andere von Ihnen das Tangram-Spiel: Es besteh aus einem quadratischen Brett, das in unterschiedliche geometrische Teile zerlegt ist, allerdings geht im Gegensatz zu meinen Arbeiten die Ausgangsfläche verloren. Im Folgenden beschreibe ich kurz das geistige Umfeld, in dem diese Zeichnungsserie lokalisiert ist. Sie können das dann in der Betrachtung der einzelnen Arbeiten mit Anschaulichkeit füllen: die meisten Tesagramme beschäften sich mit Umformungen geometrischer Grundfiguren: Quadrat, Kreis, Dreieck, Ellipse und Spirale. Es geht um Spiegelung, Drehung, Verschiebung, Umkehrung und andere Transformationen geometrischer Natur. Es geht um positive und negative, krumme und konstruierte, vollständige und zersplitterte Formen, um Muster, Ornamente, Parkettierung, Symmetrie und Asymmetrie, Leere und Notwendigkeit, Maß und Freiheit, Regel und Abweichung. Ein weiteres Begriffsfeld, vereint im Gedanken der Metamorphose, der Verwandlung, die in den meisten Arbeiten anzutreffen ist: eine Gerade krümmt sich zur Spirale usw. Hoffentlich macht es Ihnen Spaß, meine Vorgehensweise in den einzelnen Tesagrammen konkret nachzuvollziehen, das heißt, meine Finten wie ein Detektiv auf die Schliche zu kommen, aus dem Endergebnis der fertigen Zeichnung zum Ausgangspunkt zurückzufinden, den Ariadne-Faden zu entdecken, der eins mit dem anderen verbindet. Vielleicht kann an einem Ort wie dem Technologie-Campus mit dieser Ausstellung, der weitere folgen sollten, ein erster Schritt zum notwendigen Dialog von Technik und Ästhetik bzw. Wissenschaft und Kunst gemacht werden, damit die Technik nicht in reinem Kosten-Nutzen-Denken erstarrt und die Kunst nicht zum abgehobenen Glasperlenspiel schrumpft.



Zurück zum Seiteninhalt | Zurück zum Hauptmenü