Ines Kohl 1990 - Toni Scheubeck, Bildhauer und Zeichner

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Ines Kohl 1990

Texte

Der Bildhauer Toni Scheubeck
Sein vergrößerter Daumenabdruck  in Stein an der  Atelierwand: Signet des Bildhauers und Identitätsmerkmal zugleich. Typisches Understatement seines Schöpfers, spiegelt der ovale Stein aus strahlend weißem Granit das Ich-Bewusstsein und erinnert doch an das abstrakte Lineament  eines japanischen Zen-Gartens. Die Idee zu dieser sehr frühen Arbeit mag sich entwickelt haben aus der Form des ersten, 1978 entstandenen “Wellensteins” aus schwarzem Granit, dessen Oberfläche an konzentrische Schwingungen einer Wasseroberfläche erinnert. Er ist einer der wenigen Steine, die dafür gemacht sind, in der freien Natur zu liegen und bei dem Natur mitgestaltet, wenn Regenwasser in seinen Rillen stehen bleibt.
Toni Scheubeck, der nach dem Studium an der Münchner Akademie wieder in seinen Geburtsort Arnschwang bei Cham zurückgekehrt ist, braucht die Abgeschiedenheit des Dorfes nahe der tschechischen Grenze; nur dort findet er die nötige Ruhe zu konzentrierter Arbeit. Sein Verhältnis zur Natur ist das eines Menschen, der in engem Kontakt zu ihr aufgewachsen ist; weder sentimental-romantisch noch missverständlich intellektualisiert, sondern ganz einfach unbewußt vorhanden als eine besonders ausgeprägte Wachsamkeit und Sensibilität für Gleichgewicht und Proportionen.
Die Form des Steines ist mitbestimmend für das Aussehen der Skulptur, die Gestalt einer Idee summiert sich also aus dem Austausch von geistigem Konzept und Einverständnis mit einer in der Natur vorgefundenen Form. Dabei behandelt er den Stein mit Perfektionismus, äußerster Sorgfalt und Respekt.
Bei dieser Arbeitsweise, die sich vom Stein inspirieren läßt, ist es einleuchtend, dass für die Skulpturen keine wie immer gearteten Entwürfe oder Zeichnungen existieren. Toni Scheubeck arbeitet seine Idee unmittelbar in den Stein. Die Vorstellung der endgültigen Gestalt muß also schon sehr weit konkretisiert sein, um die richtige Wahl zu treffen, und mancher Stein liegt jahrelang in der Werkstatt, bis er zu den Auserwählten gehört.
Die Form- und Rhythmusprinzipien der Skulpturen sind von ausgewogener Schlichtheit. Sie orientieren sich an den genialen Prinzipien der Natur, die das beste Vorbild ist für die Übereinstimmung von Ökonomie und Ästhetik einer Form. Aus ihrer spannungsreichen Asymmetrie ergibt sich die Beunruhigung einer “offenen Balance”, wie Henry Moore dies genannt hat.
Man muß nur Toni Scheubecks eigene Sätze zu seinen Steinen lesen, dann wird als wichtigstes Gestaltungsprinzip klar, was von Anfang an seine Arbeit durchzieht, die Vereinigung von Gegensätzen als Moment der Spannung.
Die Bewegung in Ruhe: “In sich gekehrt” I und II. Eine unendlich fließende Bewegung, die immer wieder in sich zurückläuft, und dabei doch ein sehr “endlicher “ Stein. Vor allem bei den früheren Steinen ist es der Gegensatz zwischen stabiler Erscheinung und labilem Gleichgewicht, eine optisch weiche Oberfläche, die die Härte des Steins wie eine Augentäuschung kompensiert, oder die Aufhebung der Schwere durch eine ins Extrem gearbeitete Schlankheit und Eleganz: “Das Lasten des Steins zum Leichten wenden”. Die artifizielle Wirkung solcher Steine wie der „Ankunft” oder des Federsteins läßt sich durch entsprechend geformte Fundstücke erreichen.
Verletzungen durch die Einwirkung natürlicher Energien bezieht er mit ein, macht sie anschaulich wie bei dem „Spaltblock”. Oder er belädt den Stein mit einer gewissen Magie; gespalten oder zersägt ist er zwar jederzeit aufklappbar, doch ist er zum Schrein für sein Geheimnis geworden. Lagernde Ruhe wird kontrapunktiert durch die Dynamik einer leichten Torsion, einzelne Teile werden zueinander-gegeneinander in spannungsreiche Konfrontation gebracht.
Dieses Austarieren entgegengesetzter Kräfte und die damit verbundenen geringfügigen, aber folgenschweren Unwägbarkeiten sind es, mit denen die Skulptur - auch in ihrer emotionalen Ausstrahlung - in dem labil-stabilen Schwebezustand gehalten wird, den Lessing den „fruchtbaren Augenblick” genannt hat, den Moment des Übergangs von einer Situation in eine andere.
Dieser Schwebezustand ist es, der Steine wie “In sich gekehrt” so anhaltend aufregend macht. Auch ein oberflächlich in sich ruhend erscheinender Stein wie das “Haus” ist durch die geometrische Durchdringung, die realperspektivisch so nicht möglich ist, von dieser Unruhe gekennzeichnet. Nur durch den direkten Bezug zum Stein, der auch dem Material Freiraum läßt und offen ist für die Inspiration durch die vorgefundene Form, lassen sich solche Körper erfinden, die neu sind und doch auf uns wirken, als seien sie immer schon dagewesen, als könnten sie anders nicht aussehen, als seien sie uns aus einer anderen Welt bekannt.
Die Zeitlosigkeit dieser Skulpturen, die manchmal so perfekt ponderiert sind wie ein archaischer Kouros, kommt aus den Quellen der griechischen Kunst und einer meditativen Haltung, die geprägt ist von östlicher Philosophie; Toni Scheubeck interpretiert den Stein, indem er eine Verständigungsebene herstellt, die auch dem Betrachter den Zugang ermöglicht.
Die Zitatkunst der Postmoderne, Ironie und erzählerisches Moment und jegliches Decorum sind seine Sache nicht. Er sucht Gleichgewicht und Harmonie, doch immer ist da das beunruhigende Moment der kleinen widersetzlichen Bewegung, der genialische kleine Störfaktor, der es macht, dass man sich von diesen Steinen so leicht nicht wenden kann. Sie sind konkreter und näher an der Natur als mancher geschwätzige Naturalismus. Beschreibende Details fallen weg zugunsten der Prägnanz der Form. Der Stein wird in seiner Spannung zusammengefaßt und konzentriert, wie etwa das “Haus des Pythagoras”, so lapidar und genial wie eben dessen Einsicht.
So disparat die Steine auf den ersten Blick auch erscheinen mögen, organisch geformt, paarweise angeordnet, stückweise gesetzt - sie unterwerfen sich alle einem gemeinsamen Gestaltungsprinzip: scheinbare Gegensätze zu möglicher Harmonie zu führen, den Charakter der Skulptur genau in dem springenden Punkt zu erfassen , wo dies, einen schwebenden Moment lang, möglich ist. Im Spiel mit Statik und Dynamik, Naturerfassung und Abstraktion tariert Toni Scheubeck die Gegensätze aus und fördert Einsichten durch die Raffinesse einer verblüffenden Einfachheit. Kunst kommt eben doch nicht allein von Können, sondern von Denken und Tun, geistigem Konzept und Handwerk.

Ines Kohl


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