Barbara Häcker 2012 - Toni Scheubeck, Bildhauer und Zeichner

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Barbara Häcker 2012

Texte

Homo ludens
Rede zur Ausstellungseröffnung am 15.5.2012 im Gründerzentrum Straubing

Homo ludens – der spielende Mensch – als Titel für eine Kunstausstellung hier im Gründerzentrum in Straubing? Auf den ersten Blick würde doch homo faber, homo politikus oder auch der heute viel beschworene homo oekonomikus viel besser passen. Doch Homo ludens, der spielende Mensch, ist nicht nur Programm für die beiden Künstler, die ich Ihnen heute vorstellen darf, sondern gerade auch für diesen Ort, an dem Unternehmen gegründet und vernetzt werden, Ideen entwickelt und für die Zukunft konzipiert werden.

Friedrich Schiller schreibt in seinem philosophischen Werk „Über die ästhetische Erziehung des Menschen", „(…) der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt." Damit aber geht es beim homo ludens schlicht und ergreifend um den Menschen, also um einen jeden einzelnen von uns, als dem eigentlichen Ziel und Zweck unseres Handelns und Strebens. In einer Welt, die sich der Illusion hingibt, dass alles quantifizierbar und damit manipulierbar ist, gerät dies manchmal aus dem Blick, weshalb ich sie nun einladen möchte mit Hilfe der Arbeiten von Toni Scheubeck und Thomas Bindl die Perspektive zu wechseln.

Toni Scheubeck, ein Gründungsmitglied und langjähriger Kurator, des weit über die Grenzen Ostbayerns hinaus bekannten Cordonhauses in Cham, ist im wahrsten Sinne des Wortes Bildhauer. Er, der in Arnschwang in der Oberpfalz in seinem umgebauten Elternhaus lebt und arbeitet, beschäftigt sich seit seinem Studium an der Akademie der Bildenden Künste in München zu Beginn der siebziger Jahre, vor allem mit Materialen, die er in seiner heimischen Umgebung, dem Oberpfälzer Wald findet: Holz und Stein. Dabei spielt der Stein eine besondere Rolle, wobei er nicht, wie viele Bildhauer dem Stein eine Form aufzwingt bzw. abringt, sondern vielmehr erspürt er, tastet er sich vor, nimmt die Unebenheiten und Besonderheiten des Steins zum Anlass sich damit auseinanderzusetzen. Der Stein ist dabei ein Gegenüber, mit dem er in einem ständigen Dialog ist, bis am Ende das Kunstwerk hervortritt. So entstehen nicht nur ästhetische Skulpturen von einer tiefen Sinnlichkeit und Schönheit, vielmehr bringt er die stummen Zeugen der Erdgeschichte in Sprache, auch und gerade über die Zeit hinweg. So wird die im Stein befindliche Ader zu einem Seil das den Granit zusammenhält, und ein schwarzer Einschluss, wodurch auch immer entstanden, wird zu einer Knospe, die aus dem Granit erblüht. Auch spielt er bei seinen liegenden Basaltsäulen mit dem Schwarz des Steines und dem Gelb der Trennschicht, wenn er die uralten Motive in die Oberfläche bringt. Dabei ist es Toni Scheubeck wichtig, dass seine Arbeiten, wie auch der in einen steinernen Würfel „eingeschlossene Kiesel", aus einem Stück gearbeitet werden. Diese Vorgehensweise löst er in seinen neuesten Arbeiten „Perspektivwechsel" jedoch auf, hier gerade ist es das Zusammensetzen von verschiedenen Ebenen, die verbunden werden durch die Gravuren an der Oberfläche und die so die Dynamik des Objekts bedingen. Je nach Standpunkt des Betrachters sieht er klar definierte Kreise oder verstörend wirkende, verschwimmende, ausgebeulte Ringstrukturen. Und diese Irritationen setzen sich fort, wenn man zu den Holzarbeiten, die schon durch ihren Geruch den Raum erfüllen, übergeht. Greift Toni Scheubeck bei den wie Spielklötzchen in der Mitte des Raumes aufgereihten Lindenbaumabschnitten noch die vorgegebene Struktur der Jahresringe auf, in dem er immer fünf Jahre zusammengefasst und plastisch sichtbar macht, so werden seine an der Wand hängenden Holzstücke, mit dem Titel „Rolling wood", zu etwas Schmelzendem, Fließendem, einer Bewegung, die der Dicke und der Beschaffenheit des Holzes geradezu innewohnt und widerspricht. Auf die Spitze getrieben wird dieses Spiel mit unserer Wahrnehmung schließlich bei den Sperrholzreliefs „Erwartung-Enttäuschung", die das Innen dieses Raumes mit dem Außen verbindet. Denn betrachtet man die Reliefs von hier drinnen, so hat man automatisch Assoziationen darüber, wie es auf der anderen Seite der Platte weitergeht. Geht man dann aber nach draußen, oder schaut ins Spiegelbild der Scheibe, so sind es nicht die scheinbar einfachen Linien, die sich unser Gehirn zurechtlegt, vielmehr sind da komplexe Figuren, die das vorgefertigte Offensichtliche zunichtemachen.

Genau hier aber trifft er sich mit Thomas Bindl, dem Maler, Fotographen und Graphiker. Der Münchner Thomas Bindl, der seit fast 20 Jahren in seiner Wahlheimat Oberalteich wohnt und seit kurzem Präsident der Münchner Secession ist, hat ebenfalls an der Münchner Kunstakademie studiert. Sein Schwerpunkt war und ist die Malerei. Dabei liegt dem Wechselspiel von Farben und Formen, ein permanenter Prozess des Suchens, Findens und Verwerfens zugrunde, das das Sujet Schicht um Schicht entstehen lässt, so dass die Bilder diesen Prozess ihres Werdens in sich tragen. Sie sind damit aber Abbild für den Menschen an sich, der in seinem Leben immer wieder aufgefordert wird, Dinge zu hinterfragen, Altes zu verwerfen, Neues zu wagen und dabei jede Erfahrung, Verletzung oder Glücksmoment, in seiner fragilen Leiblichkeit trägt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die im Malprozess langsam entstehenden Gegenstände – mit Ausnahme einiger Landschaftsbilder - menschliche Köpfe, einzelne Stühle, oder Blumen sind, die neben einer tiefen Melancholie einen ganz eigenen Duktus zwischen impressionistischer Leichtigkeit und expressivem Farbauftrag - in sich tragen. Dass es Thomas Bindl dabei nicht um einen künstlerischen Habitus sondern vielmehr um die Malerei an sich geht, zeigen seine Farbfotos und die kleine Farbskulptur, die auf der Galerie ausgestellt sind. Farbe ist dabei sowohl Werkstoff wie auch optisches Phänomen, die willentlich gesetzt etwas Eigenes, Neues erzeugt. Selbst in seinen Fotographien findet sich dieses Spiel der Farben und Formen, wobei auf seinen Streifzügen an der Donau Bilder entstehen, die aus einer anderen Welt zu kommen scheinen und die charakterisiert sind durch das Verwischen der Grenze zwischen Oben und Unten, Täuschung und Realität. Jedes Bild ist in sich abgeschlossen und dennoch greift durch die Hängung ein ganz eigener Prozess, der einen rhythmischen Dialog mit der vorgefundenen Architektur eingeht. Gerade diesen Rhythmus zwischen Bild und Leerfläche unterstützt im Treppenhaus die gebrochene Gitarre, die durch einen Sensor je nach Lichteinstrahlung den Takt vorgibt.

Beide Künstler sind damit aber Poeten im wahrsten Sinne des Wortes. Sie bringen hervor in dem sie suchen, finden und verwerfen, wobei sie sich mit ihrem ganzen Wesen in diesen Schaffensprozess einlassen und einbringen, mit einer Ernsthaftigkeit, die - wie Friedrich Nietzsche einmal gesagt hat, sich nur bei einem Kind im Spiel findet. Dieses Spiel der Möglichkeiten benötigt Zeit, Raum und Freiheit. Nur so aber kann ästhetisch verstandene Schönheit entstehen, die über das rein Materiale wie auch geistig Formale hinausgeht.

Eine solche Transzendenz, die Vollendung eines jeden Werkes im Sinne der Schönheit, kann der Betrachter erspüren. Dabei spielt es keine Rolle, ob er über einen ausgeprägten Sachverstand verfügt. Wichtig ist nur das sich Einlassen auf das Kunstwerk mit seinem ganzen Wesen. Erst in einer solchen Betrachtung, in dem der Betrachter das Kunstwerk mit seinen eigenen Bildwelten und damit seiner eigenen Menschlichkeit in Kontakt bringt, schließt sich der schöpferische Kreis.
Damit aber ist Kunst mehr als nur Dekoration, Provokation oder Event, sie ist auch mehr als Nutzgegenstand oder Geldanlage. Lässt man sich auf diesen schöpferischen Prozess ein, so wird man als Betrachter verändert, die Kunst betrifft dann das eigene Leben und kann helfen mit seinen Unbilden zu Recht zu kommen, wie Friedrich Schiller es in einem Gedicht sehr schön beschreibt:

„Wenn Sinnes Lust und Sinnes Schmerz,
vereinigt um des Menschen Herz
den tausendfachen Knoten schlingen,
und zu dem Staub ihn niederziehn
Wer ist sein Schutz? Wer rettet ihn
Die Künste, die an goldnen Ringen
Ihn aufwärts zu der Freiheit ziehn,
und durch den Reiz veredelter Gestalten
ihn zwischen Erd und Himmel schwebend halten."

Gerade in diese Spannung zwischen Erd und Himmel vermögen die Werke von Toni Scheubeck und Thomas Bindl in vortrefflicher Weise zu versetzen, auch wenn wir weiterhin, der Schwerkraft unterworfen sind.

Dieses von Toni Scheubeck vergrößerte tschechische Kinderspiel konnte dankenswerterweise durch ein Joint-venture mit dem Gründerzentrum, in dem Herr Niedermeier, Herr Dr. Zerle wie auch Herr Ostermeier die Leiter gebaut, aufgestellt und genau platziert haben, verwirklicht werden. Es ist nicht nur zum Bestaunen sondern vor allem zum selbst ausprobieren gedacht. Ich wünsche Ihnen nun also viel Vergnügen beim eigenen spielerischen Betrachten der hier ausgestellten Arbeiten und der daraus resultierenden für sie hoffentlich inspirierenden Selbst- und Welterkenntnis.

Dr. med. Dr. phil. Barbara Häcker

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